Ein Goldfisch, der für einen Hai gehalten werden möchte - wie manche sprachlichen Angeber, die sich verstellen.

Täuschung, Verstellung

Oh wie gut, dass keiner weiß ... wie ich heiß

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Textverfasser, die einen Text mit Täuschungsabsicht schreiben, bemühen sich auffällig oft, den Eindruck zu erwecken, einen höheren Bildungsstatus zu haben, was oft damit einhergeht, dass ihre Texte vorwiegend Passiv und Nominalstil, Bürokratenfloskeln und Archaismen enthalten (z. B. „Als Folge kam es zu dem Unfall.“ statt „Dann passierte der Unfall.“, „Im Nachgang rief er an.“ statt „Danach rief er an.“, „Die Begrüßung der Gäste erfolgte durch den Vorsitzenden.“ statt „Der Vorsitzende begrüßte die Gäste.“), wobei eine besonders häufige Verwendung des Verbs „erfolgen“ signifikant ist, denn wenn die Bedeutung eines Verbs durch ein Nomen ausgedrückt wird, wird ein Verb benötigt , das selbst keine Bedeutung trägt („kopula-ähnliche“ Verben).

Wenn die forensische Linguistik gebraucht wird, handelt es sich meist um Texte, deren Verfassern daran gelegen ist, dass

  1.  sie nicht erkannt werden,
  2.  die im Text vermittelten Informationen verstanden werden.

Daher wird ein solcher Verfasser

  1.   sich zwar zu verstellen versuchen,
  2.   den Text jedoch nicht allzu stark verfremden.

Es gibt ein bereits vorliegendes, gut strukturiertes und beschriebenes System für die Art und Weise, wie wir Deutschen normalerweise schreiben (sollen); das, was Deutschen in der Schule beigebracht wird, eine im Duden bzw. im amtlichen Regelwerk beschriebene Norm mit Syntax-, Morphologie-, Semantik-, Orthografie- und Interpunktionsregeln. Ein Anhaltspunkt und Hilfe-System für die Autorenbestimmung sind signifikante Abweichungen von dieser Norm, also davon, wie die Mehrheit der deutschsprachigen Verfasser Texte schreibt. Diese Norm wird von vielen Textverfassern in der Bevölkerung nicht beherrscht, bzw. es gibt – je nach Bildungsgrad und Geübtheit im Verfassen von Texten ‑ unterschiedliche Beherrschungsgrade. Auch die Abweichungen haben bei den meisten Verfassern eine Systematik, die oft erkannt werden kann.

Ein Textverfasser, der nicht erkannt werden will, macht selbst Annahmen darüber, wie er und seine Mitteilung von dem Leser bzw. den Lesern eingeschätzt werden, d. h. ob und wie der Inhalt verstanden wird und welche Vermutungen über ihn bezüglich seiner Identität angestellt werden.

In meiner gutachterlichen Tätigkeit hat sich immer wieder herausgestellt, dass die am häufigsten auftretende Verstellung diejenige ist, einen höheren als den tatsächlichen Bildungsgrad vorzutäuschen, und zwar weil der Verfasser meint,

  1. der Text werde dann eher verstanden,
  2. der Inhalt werde dann eher ernst genommen,
  3. er werde als Verfasser nicht erkannt.

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Der Verfasser (jemand, der wenig liest und im Schreiben ungeübt ist) schreibt dann oft Wörter, die er bisher nur gehört und dann selbst gesagt (aber nicht gelesen oder selbst geschrieben) hatte (z. B. „Es gab damals viele Diebstelle.“, „Das is schlicht weggelogen.“, „Er hat mir auch Benzin Geld gegem.“).

Im Fall der Verstellung gelingt die Textmanipulation erfahrungsgemäß nur in den Eingangspassagen eines Textes; im weiteren Textverlauf bzw. bei weiteren Texten jedoch nimmt der Verstellungsgrad ab, und der Verfasser verfällt in seine gewohnten sprachlichen Routinen.

Es ist auch zu fragen: Hat der Verfasser versucht, Spuren zu verwischen oder falsche Spuren zu legen? Hat ein deutscher Muttersprachler versucht, zu schreiben wie jemand, der Deutsch als Fremdsprache (mehr oder weniger gut) gelernt hat?
 

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